Die Kunst des Sehens

Auf meinen Ausflügen und Streifzügen auf der Insel Lanzarote habe ich versucht, bestimmte Eindrücke auch mit einer Digitalcamera festzugehalten. Damit war es möglich, das Gesehene am selben Tag nochmals mit der erinnerten Vorstellung zu vergleichen. Diese Vergleiche brachten meistens Überraschungen. Einerseits war auf dem Bild etwas, was ich bewußt gar nicht gesehen hatte, andererseits fehlte etwas - etwas Wesentliches. Aber was? Mit einem Computer und einem Fotobearbeitungs-programm versuchte ich, das Mangelgefühl zu beheben. Mal war es der Ausschnitt, mal war es eine Farbkorrektur, die das Bild angenehmer erscheinen ließ. Das Fehlen von Geräusch, von Atmosphäre ließ sich aber nicht ersetzen. Außerdem wurde die Überfülle der technischen Möglichkeiten Farbveränderung, Bildtransformation, Layer und Filtertechnik auf die Dauer eher als eine Belastung empfunden. Als ich plötzlich bei einem modifizierten Bild des Lavagesteins einen ähnlichen Eindruck spürte, wie ich es vom wiederholten Betrachten der Bildes von C. Manrique kannte, erwachte meine Neugierde. Was hatte diesen Eindruck hervorgerufen? War es die Farbe, das Motiv, die Textur oder Struktur der Oberfläche? Wahrscheinlich von allem ein wenig. In einem Buch, das zahlreiche eigene Aussagen C. Manriques über seine Sicht- und Arbeitsweise enthält, fand ich so etwas wie Richtungspfeile. Diesen Hinweisen wollte ich konsequenter nachzugehen und begann, viele Dinge anders anschauen. Hatte ich begonnen das Lehrbuch C.Manriques, die Kunst zu sehen, zu studieren?

"4. Es gibt ein Phänomen, das wir lehren und verbreiten müssen, nämlich die Kunst zu sehen." (C.Manrique)

Wie könnte dieses Lehren besser möglich sein, als einen Künstler bei seiner Arbeit begleiten. Seinen Weg, die Kunst des Sehens zu üben, zu praktizieren nachzugehen. Bei einem Künstler, der verstorben ist, stehen uns nur mehr seine Werke, seine Skizzen und eigenen Aussagen zur Verfügung.

11. Wichtig ist die reine, emotionale Anziehung dessen, was man vor sich hat und die Unverbrauchtheit der Lösung: Die Macht in diesem Raum des Blickes zu dialogieren.
Was ist gemeint mit dialogieren? Im Raum des Blickes mit den Augen ein Gespräch führen. Nit wem oder was ist dieses Gespräch zu führen? Wohin schweift das Auge? Wo verweilt es? Von wo kehrt es wieder zurück?

22. Das Verständnis der Schönheit und das Wissen um ihre Harmonie ist der Schlüssel zum Geheimnis der Welt. Sie leitet uns in höhere Sphären und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Entwicklung der Energien des Lebens, das Gefieder des Vogels, die unglaubliche Feinheit des Flügels einer Fliege, den komplizierten Mechanismus eines Auges, die feine Nervatur eines trockenen Blattes.

33. Mein Lebensweg war stets von meiner Neugier gekennzeichnet und hat meine Seele bereichert, um mit einem prüfenden, analytischen Blick der totalen Suche in alle verborgenen Winkel der Erde vorzudringen, in die unzähligen Formen, Texturen und Farben, in eine stetige Offenbarung und vorallem in eine schwer zu erklärende Faszination, mit der Erkenntnis nämlich, daß diese Beobachtungslust vollständige Integration und Verständnis waren. Die Natur hat mir großzügig gegeben, was andere weder sahen noch verstanden.

44. In seinem maßlosen Stolz hat der Mensch ein System hinfälliger Werte geschaffen, das einzig dazu gedient hat, sein eigenes System zu zerstören.

66. Alle Bilder, die aus meiner Innenwelt auftauchen, sind eine zerbrechliche Anspielung der Beobachtung vor dem tiefgründigen Phänomen (von) Materie und Energie, die in der Natur freigesetzt werden.

Spätestens an dieser Stelle wird die Frage nach dem, was ein Bild ist, was ein Bild bedeutet, unausweichlich. Ein Bild als zerbrechliche Anspielung, ein Bild als Spiegel, ein Bild eine Botschaft? Von Leonardo da Vinci wird erzählt, daß er als fünfjähriger Knabe in der Sonne selbst den ersten Bildermaler erkannte. Tagelang vergnügte er sich damit, mit seinem Schatten vergängliche Bilder auf eine Hauswand zu malen. Alle Bilder, ob sie nun von innen oder außen an den Menschen herantreten, haben ihr Bedeutung, ihren speziellen Wert, ihre Schönheit oder Häßlichkeit und ihre Wirkung. Wie kann der Mensch lernen, die "hinfälligen Werte" von den "unvergänglichen Werten " zu unterscheiden? Den Ansatz einer Antwort finden wir in einem weiteren Ausspruch C. Manriques:

71. " die Kunst und dieser ästhetische Genuss ist das Ritual mit dem wir dem Leben einen Sinn geben."

Kunst und Genuß als Ritual, das dem Leben Sinn zu geben vermag. Würde das nicht auch bedeuten, daß der Mensch mit Bildern Sinn auszudrücken kann. Inhalt und Zusammenhänge herzustellen? und daß er durch das Bilderschaffen selbst seinem Leben Sinn zu geben vermag. Nicht ohne Grund hat der Philosoph Hans Jonas als das erste Kriterium des Menschseins den "homo pictor" den -Bildmenschen -genannt.

Die Überfülle der heute produzierten Bilder bestätigt diese Aussage. Welchen Inhalt haben jedoch die Bilder. Machen sie Sinn und stellen sie Zusammenhänge her?

88. Es gibt schon zuviel Elend, zuviel Agressivität und zuviel Konflikte, ohne daß der Künstler selbst in Besessenheit darauf verharrt, uns über die Augen noch mehr Schwärze und Tragödien zuzuführen.

Es gibt also den Weg im Raum des Blickes zu dialogieren. Welches Bild, welches Detail eines Bildes lädt mich ein zu verharren, erweckt meine Neugierde, erregt oder löst Spannung aus, verbreitet Angst oder Freude, bringt Ruhe oder Nervosität.

DENKE DAS GEFÜHL UND FÜHLE DEN GEDANKEN ( Miguel de Unamuno) DENKE DAS GEFÜHL UND FÜHLE DEN GEDANKEN ( Miguel de Unamuno)

Bedenke das Gefühl, während du ein Bild betrachtest und lege die Gefundenen Gedanken wiederum auf die schwingenden Waagschalen deines Fühlens. Der Einwand eines rational aufgeklärten Menschen, den Launen des Gefühls könne man doch nicht vertrauen, ist nicht leichtfertig abzuweisen. So wie jedes zuverlässige Werkzeug gewartet werden muß, muß das Denken und das Fühlen auch geschult und gepflegt werden Der Menschen, der gelernt hat, seine Gefühlsreaktionen, wie ein Barometer für innere und äußere Wetterbedingungen einzusetzen, hat ein hervorragendes Instrument zum Verständnis der Schönheit und zum Wissen um ihre Harmonie als Schlüssel zum Geheimnis der Welt.

Eingesetzt auf die elektronischen Medien ergeben sich dabei folgende Fragen:
Lernen wir durch die elektronischen Medien die Kunst des Sehens oder vergrößert sich durch ihre Verfremdungsmöglichkeiten die Distanz zur Natur und letzlich zum Menschen selbst?
Zeigen der übermäßige Einsatz und Konsum elektronischer Medien nicht einen Verlust an Gesundheit, Lebenskraft und Sinnesfähigkeit.(RSI-Syndrom, CFS .- Syndrom, Arthritis, etc)?
Bewirkt nicht die Überfülle an elektronischen Eindrücken eine Ablenkung von der Realität, ein rauschhaftes Selbstvergessen und eine Unfähigkeit zur Unterscheidung (Kritik-und Denkunfähigkeit)?

Diese Fragen kann jeder Mensch aus seiner eigenen Selbstbeobachtung beantworten, vorausgesetzt er hat genug Geduld. Denn an dem Umgang mit dem dabei auftretenden Ohnmachtsgefühl, die Antworten nicht sofort aus dem Ärmel schütteln zu können, werden sich die Geister scheiden.

89. " das gefährlichste an jeder Tendenz ist ihre Übernahme mit der Versessenheit auf alles Neue"
Diese Versessenheit auf alles Neue verdrängt Geduld und Gelassenheit. Nur mit diesen gelingt eine Bewährung in der Zeit, besonders in einer sogenannten schnellebigen Zeit. Was sich bewährt, bewahrt sich und den anderen (das andere). Es bewahrheitet sich und erhält seinen Wert im Sein.

Ich würde gerne mithelfen, den Auftrag Cesar Manriques - die Kunst des Sehens zu lehren und weiterzuverbreiten, - weiterzutragen und würde mich bzw. meine Arbeiten und Forschungsergebnisse für Ausstellungen, Vorträge und Workshops zur Verfügung stellen.